Foto: Winterkahle Sumpfzypressen in Hamburg, im Loki-Schmidt-Garten

Vor dem Freigelände des Botanischen Gartens in Hamburg, genannt Loki-Schmidt-Garten, wacht Adam, eine Skulptur mit Baum. Dieser Adam steht für die Menschheit, die auf dem Weg ist, das Gleichgewicht der Natur – und damit sich selbst – zu zerstören. „Ein Paradies ist zu verlieren, wenn ihr so weitermacht“, will der riesige Kerl uns zurufen. Wir sehen ihn zwar, doch hören wir ihn und seine Botschaft auch?

Das „Paradies“ ist künstlich geschaffen aus wissenschaftlichem Interesse – ich betrete es an einem sonnigen Märztag im Jahre 2018. Kahle Bäume gewähren mir einen Blick auf die Struktur des Gartens. Ich folge dem Hauptweg neben einem Gewässer entgegen dem Uhrzeigersinn, gehe also bei 1. Gelegenheit nach links, dann nach rechts, vorbei an Nutzpflanzen, Giftpflanzen, Wüsten-, Rosen- und Gesteinsgarten und komme zu Bäumen und anderen Gewächsen Süd- und Nordamerikas. Hier halte ich inne. Der Weg verläuft weiter im Bogen durch japanische und chinesische Gärten, es folgen in südlicher Richtung Wälder Europas. Ggegen Ende hin verzweigt der Weg zum Museum Loki Schmidt Haus und führt zurück zum Eingang.
Ich bin auf der Suche nach Sumpfzypressen, sie sollen mir ein Erzählort sein für mein Märchen „Im Garten des Gelehrten“. Diese Bäume finde ich an zwei Stellen in diesem paradiesischen Garten.

Zypresse am Genfer See

Wer Zypresse hört, denkt vielleicht an die immergrünen Bäume, die oft auf Friedhöfen stehen. Oder an die spitz aufragenden Bäume, die an Italien erinnern. Aber Sumpfzypressen sind im Winter kahl und ich weiß nicht, warum sie ebenfalls Zypressen heißen. Viele verwechseln auf Sumpfzypressen mit der Zeder.
Das Sumpfzypressen-Exemplar, welches ich im Loki-Schmidt-Garten suche, ist umkreist von einer Bank. An diesem sonnigkalten Märztag ist bei dem Baum nichts Grünes zu sehen. Das öffnet meinen Blick für Stamm, Äste und Zweige. Mächtig zeigt sich der Stamm. Ich setze mich auf die Bank, schaue und sinniere, denke an das Märchen, d

Zeder in Weinheim

arin die Zypresse erscheint als ein Mädchen im hellgrünen Gewande, elegant und fein …

Das Holz der Sumpfzypresse ist begehrt, und das bedeutet: Sumpfzypressen leben gefährlich. Das gilt natürlich nicht für die Bäume, die in diesem Garten am Wasser vor sich hinträumen dürfen. Sie sollen hier als sommergrüner Wald das südöstliche Nordamerika darstellen, wo sich Sumpfzypressen-Wälder in den ausgedehnten Flussniederungen des Mississippi und Ohio finden. Die  Bäume dringen dort entlang der Flussläufe z.T. weit in das Landesinnere vor. Das Land dort ist den größten Teil des Jahres überflutet, die Überflutung wird nur bei einer extremen Dürre kurzzeitig unterbrochen. Die Bäume haben sich diesen extremen Bedingungen angepasst – ist das nicht fantastisch!?

Im Loki-Schmidt-Garten, im „Sumpfzypressen-Wald“ an dem Bach, herrscht eine verwunschene Atmosphäre. Im

Sumpfzypresse im Sommer

Sommer leuchten die feinen, zartgrünen Nadelzweige im Gegenlicht, sie umspielen schleierartig die starren Stämme, elegant und vorwitzig. Leuchtend kupferrot verfärben sie sich im Herbst. Der Stamm zeigt sich starr und verschlossen, scheint wie aus hundert stangenartigen Wülsten zusammengesetzt. Die Rinde bildet eine Abdeckung aus lauter langen weichen Spänen, grau und braun, ist angenehm sanft unter den Fingerspitzen zu spüren. Richtet man im Sommer den Blick in die Baumkrone, so stehen inmitten der zartgrünen Nadeln Äste wie mit schwarzen, energischen Pinselstrichen um die Mitte des Stammes herumgeschrieben. Im Winter ist diese Dramatik deutlich erhöht.

Jetzt aber will ich mein Märchen zum Klingen bringen und schlage mein Buch „Baum-Märchen für wundersame Wege“ auf: „Einmal, in einem fernen Land, da hatte ein weiser Mann die Einsamkeit gewählt, um zu meditieren und den geheimen Sinn des Lebens zu verstehen. Er lebte in einer Hütte mitten in einem großen Wald, und bei seiner Hütte war ein Garten mit zarten Gräsern, herrlichen Blumen und wundersamen Bäumen. In seine Abgeschiedenheit verlor sich kaum einmal ein Fremder …“ Da kommt zu ihm, an einem lauen Sommerabend, eine Gesellschaft von Mädchen und die Mädchen stellen sich vor als Abies, Magnolia, Savora und Koelreiteria Paniculala.

Ich muss wiederkommen, will hier einmal an einem lauen Sommerabend vor mich hinträumen, dem Märchen lauschen; dabei Wein genießen, Musik hören und die Nadeln und Bäume in diesem Garten tanzen sehen.

Info-Kasten
Loki-Schmidt-Garten: So heißt das Freigelände von Hamburgs Botanischen Garten in Klein-Flottbek seit 2012 (https://www.biologie.uni-hamburg.de/loki-schmidt-garten.html; zu den Öffnungszeiten unentgeltlich zugänglich)
Sumpf-Zypressen (Taxodium distichum): bei ihnen stehen ebenfalls Tupelo-Bäume (Nyssa). Hierzulande finden sich drei der insgesamt 16-28 Zypressen-Arten; die buschige Arizona-Zypresse, die säulenartige Mittelmeer-Zypresse (sie steht oft auf Friedhöfen) und als dritte im Bunde die Echte Sumpfzypresse.
Hannelore „Loki“ Schmidt (1919-2010): Ehefrau des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, machte sich aber als Botanikerin, Natur- und Pflanzenschützerin einen eigenen Namen. Wer sie „sehen“ will, findet im Garten eine Loki Schmidt-Büste von Manfred Sihle-Wissel (*1934).
Bronzeplastik „Adam plündert sein Paradies“ von Waldemar Otto: steht seit 1982 vor dem Eingang. Unbekannte malten „Adam“ nach einiger Zeit eine Unterhose auf, die zunächst mehrmals entfernt wurde, schließlich aber bestehen blieb.
Anfahrt mit ÖPNV: Garten liegt gegenüber der S-Bahnstation Klein-Flottbek (Linien S1 & S11); Endhaltestelle der Busse M21 & M15.
Im Garten des Gelehrten: Das vollständige Märchen findet sich in „Mechthild Goetze – Baum-Märchen für wundersame Wege“; Seite 40 ff.