Foto: Die Fliege sucht bei den Trauben nach Neuem Wein …

Beim neuen Wein

Ein Bäumlein seh‘ ich ragen
Am weißen Winzerhaus.
Das will den Menschen sagen:
Hier schenkt man Neuen aus!

Aus feuchten Kellerkammern
Still süßes Duften weht!
Der Mann ist zu bejammern,
Der hier vorübergeht!

Es lupft der Wirt die Haube
Und streicht den roten Latz!
Im Garten in der Laube
Ist noch für einen Platz.

Er spricht und in den Keller
Still lächelnd taucht er ein!
Fahr wohl, mein letzter Heller,
Es muss geschieden sein! …

Es trank die Traube heuer
Sich satt am Sonnenlicht!
Drum strahlt wie rotes Feuer
Der Trinker Angesicht!

Rudolf Baumbach (1840-1905) – eines seiner Gedichte kennen alle: Der Wagen rollt (1879). Das Gedicht wurde 1922 als Hoch auf dem gelben Wagen von Heinz Höhne vertont.
Rudolf Baumbach studierte Naturwissenschaften, arbeitete dann als Hauslehrer ohne feste Anstellung in Wien u.a. Sein literarisches Schaffen begann – mit der Gestaltung von Bierzeitungen; er dichtete Kneiplieder. Bald konnte er von seinem Honorar leben und musste kein Hauslehrer mehr sein. Er zog 1885 zurück zu seiner Familie nach Meiningen. Zeit seines Lebens war er Junggeselle (seine einzige Liebesbeziehung hatte er als Hauslehrer zu der Tochter seines Arbeitgebers). Er genoss Wein, Gesang, Geselligkeit. Für Liebesbeziehungen damals war Geld vonnöten, welches er nicht besaß. Seine enttäuschten Lieben verarbeitete er beim Schreiben zahlreicher wunderbarer, frecher & romantischer Gedichte und Erzählungen.